Der Dünsberg bei Gießen
Weithin das Umland beherrschend, erhebt sich im Gladenbacher Bergland als Ausläufer des Westerwaldes die mächtige Kuppe des Dünsbergs. Aufgebaut aus Kieselschiefern des Kulm, überragt er mit seiner Höhe von fast 500 m NN die Siedlungslandschaft des Marburg-Gießener Lahntals. Der Anblick dieses großartigen Berges, seine natürlichen Gegebenheiten machen verständlich, daß er zu verschiedenen Zeiten der Vor- und Frühgeschichte als naturbestimmter zentraler Ort besiedelt und befestigt wurde. Drei Wallringe, die Überreste verfallener Mauern, umziehen den Berg, jeweils in etwa den Höhenlinien folgend. Ihre Ausmaße, besonders am inneren Wall mit 6-8 m hoher Außenböschung, und die Gesamtausdehnung der Anlage, deren äußerer Wall die Fläche von etwa 90 ha umschließt, zeigen deutlich, daß wir hier vor einem der eindrucksvollsten Denkmäler hessischer und mitteleuropäischer Vorzeit stehen. Trotz vieler Forschungen gerade der letzten Jahrzehnte hält aber unsere Kenntnis mit unserer Bewunderung nicht schritt.
Rekonstruktion einer Pfostenschlitzmauer mit hintergeschütteter Erdrampe und vorliegendem Spitzgraben. Die Linie am linken Bildrand gibt die heutige Oberfläche nach Versturz der Mauer zum Wall und Auffüllung des Grabens an; am rechten Bildrand sind ältere Bauzustände der dreimal erneuerten Befestigung angedeutet. Gesamthöhe etwa 6 m (Oppidum auf dem Donnersberg, nach H.-J. Engels).
Es ist bisher noch nicht erforscht, wie die Mauern des Dünsberges - auf jeden Fall Holz-Stein-Erde-Mauern mit tragenden Pfosten-Balken-Gerüst , Verblendung der Front oder der Fronten mit Trockenmauern und Füllung des Mauerkörpers oder Aufschüttung einer Rampe mit Steinen und Erde - wirklich konstruiert waren. Sicher waren sie im Lauf der Jahrhunderte, immerhin von der späten Bronzezeit im 8. Jahrhundert v. Chr. über die spätkeltische Zeit im 2./1. Jahrhundert v. Chr. bis in alamannische Zeit im 5. Jahrhundert n. Chr. in verschiedener Art, jeweils nach dem Stand der Wehrtechnik gebaut. Für den Zeitraum der größten Ausdehnung und Blüte der Bergbefestigung, das spätkeltische Oppidum, ist eine sogenannte Pfostenschlitzmauer (Typ Kelheim) wahrscheinlich und für die hier gezeigte Rekonstruktion genommen. Sie bestand aus mächtigen Pfosten, eigentlich großen Baumstämmen, die im Abstand von 1,50-3 m in den Boden gesetzt waren. Die Zwischenräume waren mit als Trockenmauer aufgesetzten Bruchsteinen ausgefüllt, und hinter dieser Front eine breite Erdrampe angeschüttet. Davor lag ein Graben.
Der Plan des Dünsberges läßt verschiedene Entwicklungen der Wallringe erkennen, wenn auch letzte Sicherheit nur nach dem Oberflächenbefund allein nicht zu gewinnen ist. Der innere, im Oval die Bergkuppe umziehende Wall ist wahrscheinlich erstmals in der späten Bronzezeit, der Urnenfelderzeit im 8. Jahrhundert v.Chr., in unbekannter Bauweise angelegt und später immer wieder erneuert und ausgebaut worden; starke Brandspuren zeigen, daß in ihm mehr Holzwerk verbaut wurde, als für eine Pfostenschlitzmauer notwendig wäre. Auffällig ist der kräftige Materialgraben hinter dem Wall, aus dem Erde und Steine für den Mauerbau entnommen wurden. Er besitzt zwei Tore, von denen Tor 12 wie auch die meisten Tore der anderen Wälle ein typisches Tor mit gegeneinander versetzten Wallenden, ein sogenanntes Tangentialtor ist.
Rekonstruktion eines Tores mit gegeneinander versetzten Wallenden (Tangentialtor) in einer Pfostenschlitzmauer (für die Rekonstruktionszeichnung ist eine möglichst einfache Form gewählt, die eine allgemeine Vorstellung geben soll; denkbar wäre ein Torhaus oder auch ein Torturm).
Der mittlere Wall, tiefer am Berg und teilweise an Steilhänge führend, wo die Mauerreste abgestürzt und er nur noch als Terrasse erhalten ist , scheint ursprünglich wie der innere ein geschlossenes Oval gebildet zu haben. Darauf deutet ein Wallrest im Nordosten mit dem Tangentialtor 14 hin. Erst zu einer späteren Zeit ist dann offenbar der weit vorspringende Ostsporn umschlossen und die Wallführungverändert worden. Der Befund östlich von Tor 8 mit dem talwärts zielenden Wall legt nahe, daß die Quelle des Schulborns durch später wieder aufgegebene Annexwälle in die Befestigung des mittleren Walles einbezogen war, wie es von anderen zeitgleichen Beispielen bekannt ist. Der Bau dieses Wallringes erfolgte vielleicht in der Späthallstatt-/Frühlatènezeit um 500 v.Chr., die mit den frühen Kelten zu verbinden ist; allerdings liegen nur wenige Funde dieser Zeit vor. Sicher bestand er in der entwickelten Frühlatènezeit am Ende des 4./Beginn des 3. Jahrhunderts v.Chr., aus der der Ostsporn die meisten Funde geliefert hat.
Rekonstruktion eines Zagentores mit zweispuriger Durchfahrt in einer Pfostenschlitzmauer (Oppidum Manching, nach R. Gensen).
Der äußere Wall ist nach Ausdehnung, Funden und der an den Toren 4, 6 und undeutlicher auch 7 typischen Form des Zangentores in die Spätlatènezeit, beginnend schon im Verlauf der Mittellatènezeit zu setzen (Mitte des 2./1. Jahrhundert v.Chr.). Nun liegt auf dem Dünsberg ein spätkeltisches Oppidum, eine jener großen stadtartigen Anlagen der keltischen Welt, die Hauptorte von Stämmen oder Stammesteilen waren und in denen sich Verwaltung , Handel, Münzprägung, Gewerbe wie auch Kult und Religion konzentrierten. Mit dem äußeren Wall hat sich die ummauerte Fläche gegenüber den älteren Burgen fast verdreifacht, einbezogen sind jetzt die Bergausläufer des kleinen Dünsbergs im Nordwesten und vielleicht - unfertig geblieben - des hinteren Eulenkopfes im Südwesten. Ungeklärt in ihrer Bedeutung sin die sogenannten Strahlenwälle, die Vorzugsweise vor den Toren ansetzen und den Berghang hinunterziehen. Sie können nicht sämtlich dazu gedient haben, weitere Geländeteile der Befestigung hinzuzufügen - wie es noch für einen Wall (oder Ackerrain?) vermutet wird, der östlich von Tor 4 abgeht und zum südlichen Sporn mit Geschützständen aus dem Siebenjährigen Krieg (1756-63) hinführt (siehe Plan Behlen; eine im Gange befindliche Neuvermessung des Dünsbergs wird hier vielleicht Klärung Bringen.
An den in die Befestigung einbezogenen Quellen des Schulborns und des Grinchesweihers waren als Quellfassung und Reservoirs große hölzerne Wasserbecken erbaut. Vor allem am Schulborn ergaben die Ausgrabungen ein Bassin mit Wänden aus Pfosten und Bohlen in sorgfältiger Zimmertechnik (Zeichnung frei nach einem Modell im Museum Wiesbaden)
Von besonderem Interesse sind die Bauten zur Sicherung der Wasserversorgung des Oppidums am äußeren Wall. Der Schulborn, für den schon eine Anbindung an die frühlatènezeitliche Befestigung des mittleren Walles vermutet werden kann, liegt nun in einer winkligen Ausbiegung des äußeren Walles. Grabungen in ihm erbrachten den Nachweis eines aus Holz sorgfältig gebauten großen Wasserreservoirs von 13,08 - 13,50 m Länge und 4,20 - 4,55 m Breite, das ein älteres kleineres Bassin und verschiedene Brunnenschächte überlagerte. Am Grinchesweiher wurde ein ähnliches Reservoir angegraben. Hier sieht man schon im Verlauf der Annexwälle, die die Quelle einschließen, zwei Bauperioden. Ein älterer Annex setzt nördlich von Tor 3 an und führt in rechtem Winkel nach Norden zum Wall zurück. Er wird überlagert und abgeschnitten von einem jüngeren Annex, der in sanftem Bogen dem Wall vorgelagert ist und zu dem Tor 3 den Zugang bildete. Eine dritte, heute hangabwärts verlagerte Quelle lag vor Tor 6 hinter dem Strahlenwall bzw. dem zum Hinteren Eulenkopf führenden Wall. Wieweit sie in die Befestigung eingebunden war, ist noch unklar. Von der Innenbefestigung zeugen in großer Zahl künstliche Verebnungen an den Hängen (Podien), auf denen Baulichkeiten standen. Überblicken wir die Geschichte Des Dünsbergs, so reichen einige Steinzeitliche Funde - darunter eine Scherbe der Michelsberger Kultur - und ein Radnagelfragment der Hügelgräberbronzezeit nicht aus, um für diese Zeiten eine Dauerhafte Besiedlung anzunehmen. Das Gipfelplateau wird in der Urnenfelderzeit besiedelt und wohl auch befestigt. Eine Befestigung der Späthallstatt-/Frühlatènezeit ist höchstens zu vermuten, vielleicht schon mit der älteren Wallführung des mittleren Ringes. Mit der entwickelten Frühlatènezeit (Latène B2) setzt jedenfalls eine dichtere Besiedlung ein und der mittlere Wall hat zu dieser Zeit sicher bestanden. Ob eine Siedlungskontinuität zum Oppidum der Mittel-/Spätlatènezeit (Latène C2-D2) vorhanden oder dies eine Neugründung war, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ebenso ist vorerst unklar, wer die Bewohner des Dünsbergs vor dem Ende des Oppidums waren. Germanische Funde weisen darauf hin, daß in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. nicht mehr Kelten, sondern Germanen Herren des Platzes waren. - Das Ende des Oppidums dürfte nach zahlreichen neuen Funden mit einer Zerstörung durch römische Truppen im Zusammenhang mit einem Feldzug des Drusus in den Jahren 11/10 v.Chr. gekommen sein. So spielte der Berg, als fast 100 Jahre später unter Dominitian der Wetteraulimes angelegt wurde, schon lange keine Rolle mehr. Noch einmal ins Licht der Geschichte tritt der Dünsberg in spätrömischer Zeit, als nach dem Fall des Limes um 260 n.Chr. die Allamannen im Lauf der Jahrzehnte das Land besiedelten. Dichte Fundstreueng auf dem Ostsporn spricht für eine alamannische Gauburg des 4./5. Jahrhunderts, den Sitz eines Kleinkönigs, die mit dem Ausgreifen der fränkischen Macht um 500 ihr Ende fand. Einige merowingerzeitliche Funde des 7. Jahrhunderts lassen sich in ihrer Bedeutung für die Geschichte des Berges noch nicht abschätzen.
Fritz-Rudolf Herrmann